Ab wann kann mein Kind kiten lernen? Diese Frage stellen sich wohl alle eingefleischten Kiter sobald ihr Kind das Licht der Welt erblickt. Die Vorstellung, dass die eigene Brut die gleiche Leidenschaft und Hingabe für diesen Sport entwickelt wie man selbst, treibt manchen Vätern die Freudentränen in die Augen. Doch ab welchem Alter können die kleinen Steppke denn nun aufs Board geschnallt werden? An dieser Frage scheiden sich die Geister.

Fragt man Kitelehrer kommen diese mit einem Mindestgewicht von 30kg um die Ecke, die die Kleinen auf die Waage bringen müssten, damit sie sinnvoll geschult werden können. Manche berufen sich auf das Alter der Kinder, also auf die kognitive Leistungsfähigkeit, manchmal wird auch die körperliche Verfassung ins Feld geführt und manche halten sich wage und sagen: Es kommt drauf an… Aber worauf kommt es denn bitte an?

Früh übt sich, wer ein Kiter werden will

Letztens las ich einen Bericht über einen zweijährigen, der bereits den Spaß am Kitesport entdeckt haben sollte. Zu sehen war ein Kleinkind, das an einem Kite geschnallt war, während die Vaterhände es liebevoll auf dem Board hielten.

Hält man sich im Sommer am Brouwersdam auf, sieht man immer wieder kleine Kinder, die in Gummistiefel, eingehakt an einem kleinen Kite, über den Strand rutschen. In regelmäßigen Abständen, werden sie von ihren Vätern am Trapezgriff wieder zurück gezogen. Vielleicht kommt es ja darauf an, inwieweit der Vater die Fähigkeit seines Kindes einschätzt, den Umgang mit dem Kite gewachsen zu sein. Weil so ein 2 bis 5 jähriger das wahrscheinlich selbst nicht kann.

„Was ist denn schon dabei,“ fragte mich ein Vater letztens „Drachenlenken kann mein Sohn schon seitdem er 3 Jahre ist. Außerdem fährt er ja nur im Flachwasser ein bisschen hin und her und da kann ich ja jederzeit eingreifen, wenn was passiert.“ Sein 7 jähriger Sohn strahlte mich an, sein Vater schlug ihm stolz auf die Schulter.

Safety first – immer?

Jederzeit eingreifen können. Ist das wirklich so? Oder ist das nur der Versuch sich selbst weiß zu machen, dass man die Situation schon im Griff hat?

Kiten ist ein Extremsport. Nicht, weil er nicht sicher ist. Die Entwicklung der Sicherungssysteme ist mittlerweile auf einem Level angekommen, die Kiten aus meiner Sicht zu einem sehr sicheren Sport macht. Kiten ist ein Extremsport, weil man mit Naturgewalten spielt. Und dieses Spiel macht ja gerade die Faszination dieses Sports aus. Das rasante Gleiten über das Wasser, der Wind, der mit Leichtigkeit das eigene Gewicht beschleunigt, die Wellen, die sich hervorragend als Kicker eignen, um in luftige Höhen zu gelangen oder der Sprung, der einen für einen kurzen Moment die Freude des Fliegens empfinden lässt. Diese Gefühle sind es, die Menschen kite-addicted machen.

Man liebt es oder man lässt es bleiben.

So heißt es und schaut man in die Augen von kiteverrückten Leuten, die gerade nach einer tollen Session vom Wasser kommen, so sieht man ein Glück und eine Faszination, die man sonst eher selten sieht. So ist es doch klar, dass man seine Kinder dieses Gefühl auch erleben lassen will. Also rauf aufs Board so früh wie möglich.

Beste Lernbedingungen für mein Kind

Doch wo lernt der Nachwuchs jetzt am besten den schönsten Sport der Welt? Auch hier scheiden sich die Geister. Lebhaft kann ich mich noch an die letzte Diskussionsrunde erinnern, die beim gemeinsamen Grillen im letzten Kiteurlaub entstand. Aus einem friedlichen Gespräch entflammt eine wilde Diskussion um die richtige Wassertiefe.

Im Flachwasser lernt mein Kind natürlich am sichersten, rief die Flachwasser-Fraktion. Der Lehrer ist nie weit weg und brüllt nicht vom Ufer aus dem Kind in den Fluten ungehörte Anweisungen zu. Das Kind kann sich erstmal auf die Kitesteuerung und den Wasserstart konzentrieren. Abtreiben geht auch nur mit größter Anstrengung, denn das Kind könne sich ja jederzeit hinstellen.

Nein halt, riefen da die Befürworter des Tiefwassers. Im Flachwasser passieren die meisten Unfälle. Wer ist nicht schonmal mit dem Board in einer Sandbank stecken geblieben und außerdem lernt das Kind dann doch nicht im Tiefwasser zu navigieren. Szenen, wie verängstigte in Flachwasser geschulte Kinder bei dem ersten Kontakt mit Tiefwasser hilflos im Meer rumtreiben, wurden wortreich ausgemalt. Da wäre es doch das beste, wenn sie gleich im Tiefwasser lernen. Frei nach dem Motto: Wer ins Wasser geworfen wird, lernt am schnellsten schwimmen.

Ob Tiefwasser oder besser doch Flachwasser die besten Lernbedingungen bereit hält, ist anscheinend eine Frage, die jeder für sich selbst klären muss. Vielleicht hilft es auch seine Kinder zu fragen, was die sich so vorstellen. Denn bisher habe ich doch ganz oft das Gefühl, dass hier über die Köpfe der Kinder hinweg entschieden wird.

Oh du schöne Freiheit

Nun sind unsere Kinder ja individuelle Persönlichkeiten. Und so wie wir gibt es da ängstliche und mutige Kinder. Kinder, die gerne angeleitet werden und solche, die die Dinge lieber spielerisch erproben. Nun fällt mir hier eine Szene ein, die ich erlebt habe und die mir sehr deutlich vor Augen geführt hat, dass die Frage nach dem richtigen Alter noch mit anderen Faktoren zu tun hat, als mit der körperlichen und kognitiven Verfassung unserer Kinder.

Wir beobachteten in Holland am Spot einen Vater und einen Sohn, die zusammen kiten gingen. Der Sohn war ungefähr 10 Jahre alt und hatte strenge Anweisungen von seinem Vater erhalten, wohin und wie er fahren dürfte. Zu den Anweisungen gehörte auch, dass der Sohn nicht springen durfte. Es sei zu gefährlich. Während sein Vater zu der Sorte Mensch gehörte, die es lieber vorsichtig anging, war sein Sohn die Ausgeburt des Abenteurers. Und was tat der Sohn, er sprang, er machte einen Handlepass und andere kleine Tricks direkt vor den Augen seines Vaters.

Kiten wie sein alter Vater, pah, die aufregende Welt des Kitens wartete auf ihn.

So brüllte der besorgte Vater also den ganzen Tag seinem Sohn hinterher, dass dieser sich doch an die Absprachen halten sollte, sonst sei hier gleich Schluss mit Kiten.

Meine oder deine Grenzen?

Der Sohn hatte die vom Vater gesteckten Grenzen überschritten. Aber worum geht es denn beim Kiten? Um das Gefühl von grenzenloser Freiheit und Lebendigkeit. Sind das nicht die Gefühle, die wir unseren Kindern vermitteln wollen, wenn wir sie voller Faszination aufs Kiteboard stellen?

Also müssen wir uns die Frage stellen, wie wir es als Eltern aushalten, dass unsere Kinder mit den Naturgewalten spielen. Wie halten wir es aus, dass sie sich andere Grenzen als wir stecken, wenn sie erstmal kiten können. Und es ist dabei egal, ob mein Kind lieber gerne weit raus fährt oder ständig versucht noch höher zu springen, ob es in die drei Meter Welle raus will oder einen waghalsigen Trick nach dem anderen vollführt. Dabei am Ufer zu stehen und das eigene Kind dem von ihm selbst gewählten Weg und auch manchmal Schicksal zu überlassen, ist nicht immer leicht. Denn wie kann es die Freude am Kitesport erfahren, wenn es  nach der Session nur hört, was es alles nicht durfte und trotzdem gemacht hat.

Extreme Bedingungen

Und einer wichtigen Frage müssen wir uns stellen.

Wie können wir unsere Kinder vor Gefahren und Unfällen schützen? Die Antwort gefällt glaub ich niemandem von uns: Gar nicht.

Jeder hat sie schonmal erlebt, die Situationen, in denen die Not groß war. Zum Beispiel als der Wind weg war und du viel zu weit draußen warst oder als die Leine riss und der Kite begann durchzuloopen, oder als dir jemand in die Leinen fuhr und keiner so schnell ans Auslösen dachte, oder als du dir beim Sprung was gebrochen hast, oder als du beim Starten einen Fehler gemacht hast und du vom Kite über den Strand gerissen wurdest. Das sind alles Situationen, in die unsere Kinder geraten können, weil wir alle in sie geraten können. Weil Kiten ein Extremsport ist, bei dem leider zu wenig der Fokus auf dem technischen Verständnis liegt und mehr auf der Jagd nach dem Kick.

Die meisten absolvieren einen Drei- Tages- Kurs und haben in diesem manchmal gar nicht richtig Starten und Landen gelernt. Deswegen passieren dabei auch die meisten Unfälle. Auslösen und wieder zusammen bauen haben viele nie gemacht, Self-Rescue kennen die meisten nur vom Hörensagen und Richtungs-Bodydrag ist gerade für Leute, die im Flachwasser gelernt haben nicht Bestandteil des Kurses gewesen.

Selbstverantwortung

Ist es nicht besser, mein Kind kann diese ganzen Sicherheits-Techniken bevor es in Notsituationen gerät? Ist es nicht besser, ich kann es sich ausprobieren lassen, anstatt es in meine Grenzen zu zwängen? Und auch mir schadet es nicht zu wissen wie ein Self Rescue geht, auch wenn ich dieses Wissen vielleicht nie brauchen werde. Ich bin in meinem Kiterleben schon in so viele brenzliche Situationen geraten, dass ich froh bin so viel über Technik zu wissen. Es gibt sicherlich Kiter da draußen, die sich beim Kiten noch nie verletzt haben oder noch nie in Not geraten sind. Die Kiten auf die harte Tour gelernt haben und denken so muss es sein.

Aber vielleicht, und nur vielleicht, ist eurer Weg wie ihr Kiten gelernt habt und das was Kiten für euch ausmacht, nicht der richtige Weg für euer Kind. Und wenn ich mein Kind so sein lasse wie es ist, dann können wir die gemeinsame Freude am Kiten teilen und jeder trotzdem auf seine Weise Spaß an diesem tollen Sport haben.